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Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Uwe Cantner von der Universität Jena hat am 28. Februar 2024 ihr neues Jahresgutachten an Bundeskanzler Olaf Scholz übergeben. Im Mittelpunkt des Gutachtens stehen Themen wie die internationale Mobilität im Wissenschafts- und Innovationssystem, Evaluationsstudien zu forschungs- und innovationspolitischen Maßnahmen, die Entwicklung und der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI), neue Technologien für eine nachhaltige Landwirtschaft, soziale Innovationen und wie eine transformative F&I-Politik aussehen sollte.
Intensiver internationaler Wettbewerb um Fachkräfte
Mit der internationalen Mobilität im Wissenschafts- und Innovationssystem greift die EFI ein Thema auf, das sie bereits 2014 bearbeitet hat. Damals stellte sie der Bundesregierung ein schwaches Zeugnis aus und mahnte massive Anstrengungen an, um international mobilen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Beschäftigten in Forschung und Entwicklung wettbewerbsfähige Arbeits- und Forschungsbedingungen zu bieten. Seitdem hat der internationale Wettbewerb um diese Fachkräfte weiter an Bedeutung gewonnen und es wurde einiges dafür getan, ihnen in Deutschland attraktive Bedingungen zu bieten. Nicht ohne Erfolg, wie die neuen Analysen der Expertenkommission zeigen. Jedoch entscheiden sich weiterhin viele kluge Köpfe gegen den Forschungsstandort Deutschland – nicht zuletzt aufgrund ineffizienter und aufwendiger Verwaltungsprozesse bei der Zuwanderung.
„Für einen wettbewerbsfähigen Wissenschafts- und Innovationsstandort“, so Professor Uwe Cantner von der Universität Jena und Vorsitzender der Expertenkommission, „ist leistungsfähiges Personal an Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen unverzichtbar. Wie die Wirtschaft insgesamt wird auch das deutsche Wissenschafts- und Innovationssystem im Zuge der demografischen Alterung von Personalengpässen betroffen sein, weshalb es zunehmend auf Forscherinnen und Forscher aus dem Ausland angewiesen ist.“ Cantner führt weiter aus: „Wissenschaftliche Analysen zeigen, dass länderspezifische Faktoren einen großen Einfluss darauf haben, welche Standorte diese Personen für ihre Tätigkeit wählen. Der Bundesregierung kommt bei der Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeits- und Forschungsbedingungen und bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen für internationale Mobilität von Forscherinnen und Forschern eine zentrale Rolle zu.“
Viele Evaluationsstudien sind methodisch ungenügend
Viele der im Auftrag der Bundesregierung durchgeführten Evaluationsstudien zu forschungs- und innovationspolitischen Maßnahmen lassen keine Rückschlüsse darauf zu, ob die untersuchten Politikmaßnahmen wirksam waren und zu den angestrebten Ergebnissen geführt haben. Inwiefern tragen die forschungs- und innovationspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung – unter anderem Projektförderungen oder Innovationsberatungen – dazu bei, dass neue Erkenntnisse, Erfindungen und Geschäftsmodelle entstehen? Und helfen diese Maßnahmen dabei, neue Wertschöpfungspotenziale zu erschließen und Transformationsprozesse besser zu bewältigen?
Diese Fragen werden in Zeiten leerer öffentlicher Kassen und bei zunehmendem Transformationsdruck immer drängender. Eigentlich sollten die von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Evaluationsstudien Aufschluss darüber geben, wie wirksam die jeweils untersuchten Maßnahmen sind. „Bislang ist das aber kaum der Fall“, stellt Professor Guido Bünstorf von der Universität Kassel und Mitglied der Expertenkommission fest, „denn die meisten Evaluationsstudien genügen den methodischen Anforderungen an eine aussagefähige Wirkungsmessung nicht.“
Deutschland fällt bei Technologieentwicklung zurück
Deutschland und die Europäische Union (EU) müssen bei der Entwicklung und beim Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) dringend aufholen, betont die EFI. „China und die USA dominieren im Bereich der KI die Technologieentwicklung, während Deutschland und die EU zurückfallen“, stellt Professorin Carolin Häussler von der Universität Passau und Mitglied der Expertenkommission auf Basis eines internationalen Vergleichs von wissenschaftlichen KI-Publikationen und von KI-Patenten fest. „Auch bei der Entwicklung von großen Sprachmodellen und multimodalen Modellen, die als Grundlagenmodelle für vielfältige KI-Anwendungen dienen, sind Deutschland und die EU nicht führend“, ergänzt Häussler.
Dass Deutschland im Bereich der KI hinterherhinkt, sieht die Expertenkommission mit Sorge. „Dadurch besteht die Gefahr, an technologischer Souveränität einzubüßen“, stellt Häussler fest und erklärt: „Technologische Souveränität im Bereich KI setzt voraus, dass Deutschland gemeinsam mit der EU KI-Technologien selbst vorhalten und weiterentwickeln kann oder über die Möglichkeit verfügt, diese Technologien ohne einseitige Abhängigkeiten von anderen Wirtschaftsräumen zu beziehen und anzuwenden.“
Die Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen
Die Landwirtschaft steht derzeit vor großen Herausforderungen: das globale Bevölkerungswachstum, die Anpassung an den Klimawandel, der Rückgang landwirtschaftlicher Flächen sowie Biodiversitätsverlust und Grundwasserbelastung, die durch die Landwirtschaft selbst verursacht werden. Professor Till Requate von der Universität Kiel und Mitglied der Expertenkommission stellt klar: „Die Landwirtschaft muss in Zukunft größere Mengen an Nahrungsmitteln mit weniger umweltbelastenden Betriebsmitteln wie Pflanzenschutz- und Düngemitteln produzieren. Und das bei gleichzeitig schrumpfenden Flächen und sich verändernden Klimabedingungen. Im neuen EFI-Gutachten zeigen wir, dass der Einsatz von Präzisionstechnologien und ‚Smartfarming‘ sowie Produkte der Grünen Gentechnik helfen können, mit diesen vielfältigen Herausforderungen umzugehen und damit die Transformation der Landwirtschaft voranzubringen.“
Datengrundlage verbessern
Die EFI betont die Notwendigkeit von sozialen Innovationen, die im Zusammenspiel mit technologischen Innovationen zur Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen beitragen können. Unter sozialen Innovationen versteht die Expertenkommission neue individuelle und kollektive Verhaltensweisen sowie Organisationsformen, die zur Lösung gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Probleme beitragen und damit einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen. Die sechsköpfige Expertenkommission unterstützt die von der Bundesregierung im September 2023 verabschiedete Nationale Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen. Zugleich mahnt sie aber auch weiteren Handlungsbedarf an.
Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft angehen
Die Bundesregierung hat von ihrer Vorgängerin eine Aufgabe übernommen, für die es keine Vorbilder und keinen Masterplan gibt: die Bewältigung der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Diese umfasst u. a. die Energie- und Mobilitätswende, die Schaffung einer nachhaltigen Landwirtschaft sowie die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. „Das Gelingen der Transformation setzt eine Vielzahl technologischer und sozialer Innovationen voraus, die unseren Umgang mit Technologien ebenso verändern wie die Produktion, den Konsum und unser individuelles Verhalten gegenüber Natur und Gesellschaft“, prognostiziert Professor Uwe Cantner.
Entsprechend groß ist die Gestaltungsaufgabe für die Politik. Diese Aufgabe zu übernehmen, wird der jetzigen Bundesregierung nicht leicht gemacht. Schließlich erfordern weitere aktuelle Krisen, sei es der Krieg in der Ukraine, die Desintegration der Weltwirtschaft oder die rezessiven Nachwirkungen der Corona-Pandemie, ein entschlossenes Handeln und hohe finanziellen Einsätze. „Die Folge ist eine verschärfte Konkurrenz von langfristiger Transformationsorientierung und kurzfristiger Krisenbewältigung um staatliche Budgets“, so Cantner.
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Internationale Mobilität im Wissenschafts- und Innovationssystem
In ihrem Jahresgutachten 2014 bescheinigte die Expertenkommission der deutschen Bundesregierung nur mäßigen Erfolg im weltweiten Wettbewerb um international mobile Forscherinnen und Forscher. Neue Analysen, die die Expertenkommission in ihrem aktuellen Gutachten vorstellt, zeigen, dass sich Deutschland seitdem auf einem positiven Entwicklungspfad befindet. Aktuell verzeichnet die Expertenkommission einen Nettozuzug von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Auch Auswertungen von Patentdaten deuten darauf hin, dass Deutschland als Standort an Attraktivität gewonnen hat. Unter dem Strich wandern jedoch immer noch mehr Erfinderinnen und Erfinder ab als zu.
„Es wäre allerdings zu kurz gesprungen, Schlussfolgerungen aus reinen Ab- und Zuwanderungszahlen in einem bestimmten Zeitraum zu ziehen“, betont Professorin Carolin Häussler von der Universität Passau und Mitglied der Expertenkommission. „Unsere Daten zeigen, dass viele Forscherinnen und Forscher nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt wieder nach Deutschland zurückkehren. Grundsätzlich sind solche zirkulären Wanderungsbewegungen sehr begrüßenswert, da Forscherinnen und Forscher im Ausland wertvolle Erfahrungen sammeln, ihr Netzwerk erweitern und dann häufig noch produktiver in ihr Heimatland zurückkehren. Deutschland sollte daher die internationale Mobilität fördern und möglichst attraktive Bedingungen für Rückkehrerinnen und Rückkehrer schaffen.“
Digitalisiertes und transparentes Verwaltungssystem
Angesichts der demografischen Alterung und des sich verschärfenden Fachkräftemangels mahnt die Expertenkommission weitere Reformen zugunsten der internationalen Mobilität im Wissenschafts- und Innovationssystem an. Ein Nadelöhr sieht sie in den langwierigen und komplexen Verwaltungsprozessen, denen sich Forscherinnen und Forscher auf ihrem Weg nach Deutschland gegenübersehen.
Um den Zuwanderungsprozess zu beschleunigen, empfiehlt die Expertenkommission den Aufbau eines umfassenden digitalen Systems, das alle Teilprozesse der Fachkräftezuwanderung in einen Gesamtprozess integriert sowie alle beteiligten Akteure miteinander verknüpft. Auch hinsichtlich intransparenter Versorgungsansprüche im Rahmen der Verbeamtung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie bei der Harmonisierung rechtlicher Rahmenbedingungen auf EU-Ebene erkennt sie deutliches Verbesserungspotenzial.
Neues Tenure-Track-Programm international ausrichten
Die von der Expertenkommission vorgestellten Ergebnisse legen nahe, dass Förderprogramme zur Anwerbung internationaler Spitzenkräfte wie die Alexander von Humboldt-Professuren dazu beitragen, die Attraktivität des Wissenschaftsstandortes Deutschland zu verbessern. Dem Erfolg im Spitzensegment steht allerdings gegenüber, dass abwandernde Forscherinnen und Forscher insgesamt publikationsstärker sind als diejenigen, die neu nach Deutschland kommen. Professor Guido Bünstorf von der Universität Kassel und ebenfalls Mitglied der Expertenkommission empfiehlt daher: „Die internationale Mobilität sollte in der ganzen Breite des Wissenschaftssektors gefördert werden, etwa indem das Bund-Länder-Programm zur Schaffung von Tenure-Track-Professuren mit einem klaren Fokus auf internationale Karrieren ausgebaut wird.“
Bünstorf zeigt sich vorsichtig optimistisch: „Deutschland hat großes Potenzial, im Wettbewerb um international mobile Forscherinnen und Forscher eine Spitzenposition einzunehmen. Lebens- und Arbeitsbedingungen sind auch im internationalen Vergleich attraktiv. Die bestehenden Hemmnisse sind allerdings nicht neu. Nur wenn unnötige bürokratische Hindernisse bei der Zuwanderung beseitigt und Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft konsequenter anschlussfähig an den internationalen Arbeitsmarkt ausgestaltet werden, kann der Wissenschafts- und Innovationsstandort Deutschland sein volles Potenzial entfalten.“
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Evaluationsstudien zu forschungs- und innovationspolitischen Maßnahmen
Für ihr Jahresgutachten hat die Expertenkommission 81 öffentlich zugängliche Evaluationsstudien aus den Zuständigkeitsbereichen des BMBF und des BMWK untersucht, die zwischen 2009 und 2023 verfasst wurden. In 59 dieser 81 Studien wurden beobachtete Entwicklungen kausal als Effekte der jeweiligen Maßnahmen interpretiert.
Doch nur in sieben Fällen ließen die verwendeten Methoden derartige Aussagen über Ursache-Wirkungs-Beziehungen überhaupt zu. Die Konsequenz: Die untersuchten Evaluationsstudien tragen insgesamt nur wenig Wissen darüber bei, ob die Ziele der jeweiligen Maßnahmen erreicht wurden. „Auf einer besseren Wissensbasis könnten Politikmaßnahmen gezielt angepasst und ihre Wirksamkeit verbessert werden“, sagt der Vorsitzende der Expertenkommission, Professor Uwe Cantner von der Universität Jena. „Fehlendes Wissen verhindert Politiklernen.“
Voraussetzungen für eine lernende Politik schaffen
Die Expertenkommission fordert die Bundesregierung auf, Evaluationsstudien zukünftig so auszuschreiben, dass die Leistungsbeschreibung eine Kausalanalyse sowie diesbezügliche Mindestanforderungen an das Evaluierungskonzept enthält. Auch die Voraussetzungen hierfür müssten von der Politik verbessert werden, etwa hinsichtlich des Zugangs zu den notwendigen Daten. „Wer eine forschungs- und innovationspolitische Maßnahme plant, muss auch dafür sorgen, dass die für eine Kausalanalyse erforderlichen Daten erhoben werden können“, so Cantner.
Die für die Durchführung einer Maßnahme verantwortlichen Stellen sollten den evaluierenden Organisationen alle mit einer Maßnahme verbundenen Dokumente systematisch zur Verfügung stellen. Für erforderlich hält es die Expertenkommission darüber hinaus, dass alle in Auftrag gegebenen Evaluationsstudien veröffentlicht werden, unabhängig davon, wie ihre Ergebnisse ausfallen. Positive wie negative Ergebnisse von Evaluationsstudien sollten gleichermaßen als Erkenntnisfortschritt geschätzt werden.
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Entwicklung und Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI)
Bei KI handelt es sich um eine Schlüsseltechnologie, die die technologische und ökonomische Entwicklung in den kommenden Jahren entscheidend prägen wird. „KI kann in vielen Technologiebereichen und Branchen, wie etwa in der Produktionstechnik oder in der pharmazeutischen Industrie, Innovations- und Wachstumspotenziale eröffnen“, erläutert die stellvertretende Vorsitzende der Expertenkommission, Professorin Irene Bertschek vom ZEW Mannheim. „Um die Potenziale der KI nutzen zu können, muss sie auch in der Breite der Wirtschaft zum Einsatz kommen“, so Bertschek.
Dass diese Breite noch nicht gegeben ist, zeigt eine im Auftrag der Expertenkommission durchgeführte repräsentative Umfrage. So haben 2023 in Deutschland 10 Prozent der Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes und 30 Prozent der Unternehmen der Informationswirtschaft KI eingesetzt. Etwa ein weiteres Viertel der Unternehmen in beiden Bereichen plante den zukünftigen Einsatz von KI. Eine hohe Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Unternehmens auf dem Gebiet der KI bescheinigten sich nur sehr wenige Unternehmen, 6 Prozent im Verarbeitenden Gewerbe und 15 Prozent in der Informationswirtschaft.
Die Studie zeigt auch, dass einem breiteren Einsatz von KI einige hemmende Faktoren entgegenstehen. „Den Mangel an zeitlichen und persönlichen Ressourcen nehmen Unternehmen sowohl im Verarbeitenden Gewerbe (72 Prozent) als auch in der Informationswirtschaft (68 Prozent) als größtes Hindernis wahr. Zudem herrschen bei vielen Unternehmen noch Unsicherheit über den zu erwartenden Nutzen sowie Bedenken hinsichtlich der Reife und Zuverlässigkeit von KI. Fehlendes Wissen in den Unternehmen sowie ein fehlendes Fachkräfteangebot sind weitere Faktoren, die den Einsatz von KI hemmen“, fasst Bertschek die Befragungsergebnisse zu den Hemmnissen der KI-Nutzung zusammen.
KI-Ökosystem kommt Schlüsselrolle zu
Im Bereich der KI gilt es, den Anschluss an die internationale technologische Entwicklung nicht zu verlieren und nicht noch stärker von außereuropäischen Anbietern abhängig zu werden. „Für Deutschland und die EU besteht durchaus noch die Möglichkeit, mit Innovationen eine bedeutende Rolle in der internationalen Technologieentwicklung zu spielen“, betont der Vorsitzende der Expertenkommission, Professor Uwe Cantner von der Universität Jena. „Dies ist jedoch kein Selbstläufer und die Aufholjagd muss rasch in Gang gesetzt werden. Dazu bedarf es eines starken und europäisch vernetzten KI-Ökosystems mit exzellenter Grundlagenforschung, einer leistungsfähigen KI-Infrastruktur und Fachkräften, die über KI-Kompetenzen verfügen“, so Cantner.
„Die Bundesregierung sollte die KI-Grundlagenforschung weiterhin und mit Nachdruck unterstützen. Zudem sollte der Aufbau von geeigneten Hochleistungsrechnern zügig vorangetrieben werden, da es in Deutschland an Rechenkapazitäten mangelt, die Voraussetzung für das Trainieren und die Anwendung von KI-Modellen sind. Darüber hinaus ist es essenziell, eine wettbewerbsfähige Dateninfrastruktur aufzubauen“, ergänzt Bertschek. Auch werden gut ausgebildete Fachkräfte benötigt. „Die Bundesregierung sollte daher darauf hinwirken, dass KI-Kenntnisse in der schulischen, akademischen und beruflichen Bildung vermittelt werden“, sagt Cantner. „Zudem können Initiativen, die die Open-Source-Entwicklung fördern, zur technologischen Souveränität in Deutschland und Europa beitragen“, hebt Häussler hervor.
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Neue Technologien für eine nachhaltige Landwirtschaft
Digitale und smarte Technologien können in der Landwirtschaft u. a. eingesetzt werden, um Betriebsmittel präziser auszubringen und damit beispielsweise Pflanzenschutz- und Düngemittel einzusparen. Präzisionstechnologien tragen über diese Einsparungen auch zu einer geringeren Belastung der Umwelt durch die Landwirtschaft bei. „Einige Betriebe nutzen bereits Technologien wie Farm-Management-Systeme oder digital unterstützte Landmaschinen. Einer breiten Nutzung solcher Technologien stehen jedoch noch Hürden im Weg“, erklärt Professorin Irene Bertschek vom ZEW Mannheim sowie Mitglied der Expertenkommission.
Zu diesen Hürden zählen u. a. die hohen Anschaffungskosten der Präzisionstechnologien und die Tatsache, dass der Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln vergleichsweise billig ist, aber gleichzeitig die negativen Umwelteffekte nicht hinreichend berücksichtigt werden. „Damit neue, umweltschonende Präzisionstechnologien vermehrt eingesetzt werden, bedarf es einer Abgabe auf Pflanzenschutz- und Düngemittel“, fordert daher Professor Uwe Cantner von der Universität Jena und Vorsitzender der Expertenkommission.
Weitere Hürden stellen Kompatibilitätsprobleme zwischen Produkten unterschiedlicher Hersteller und unzureichende Infrastrukturen bei der Vernetzung sowie bei der Erfassung und Nutzung von Daten dar. „Um die Potenziale digitaler und smarter Technologien voll ausschöpfen zu können, sollte ein deutschlandweiter, einheitlicher Datenraum für die Landwirtschaft geschaffen werden“, fordert Cantner weiter.
Rechtsrahmen zu Grüner Gentechnik ist überholt
Die Grüne Gentechnik kann dazu eingesetzt werden, Nutzpflanzen so anzupassen, dass sie klimaresilienter, nahrhafter sowie nährstoffreicher sind und einen geringeren Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln erfordern. Insbesondere Entwicklungen in der Genom-Editierung ermöglichen eine präzise Umsetzung solcher Anpassungen. Somit könnte die Grüne Gentechnik genutzt werden, um beispielsweise zu den Zielen des Green Deal beizutragen. „In Deutschland und der EU bleibt das Potenzial jedoch ungenutzt aufgrund eines nicht zeitgemäßen und inkonsistenten Rechtsrahmens, der nicht wissenschaftlich fundiert ist“, erläutert Bertschek.
Dieser Rechtsrahmen schränkt nicht nur die Forschung in der Biotechnologiebranche, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Produktion in der EU ein. „Aus diesem Grund muss der derzeit gültige Rechtsrahmen überarbeitet und eine vom Züchtungsverfahren unabhängige Regulierung etabliert werden, da keine verfahrensinhärenten Risiken festgestellt werden können“, betont Cantner. „Ein weiteres großes Hemmnis bei der Nutzung Grüner Gentechnik ist die geringe Akzeptanz in der Bevölkerung, die daher wissenschaftlich fundiert zur Grünen Gentechnik informiert werden muss. Eine solche Kommunikationsstrategie der Bundesregierung sollte sich auch in einer konsistenten Gesetzgebung widerspiegeln“, führt Requate aus.
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Soziale Innovationen
Evidenzbasierte Forschungs- und Innovationspolitik erfordert repräsentative, einheitliche und qualitativ hochwertige Daten, um Strategien und Fördermaßen zu entwickeln, sie zu evaluieren und so konkrete politische Maßnahmen zu ermöglichen. In ihrem Jahresgutachten unterstützt die Expertenkommission die in der Nationalen Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen dargestellte Entwicklung ressortübergreifender Kennzahlen und einer aussagekräftigen wissenschaftlichen Datenbasis.
Zugleich sieht sie die Notwendigkeit, bereits vorhandene Datenbestände bestmöglich in ein Gesamtkonzept zu integrieren. „Die Kennzahlenentwicklung und Datenerhebung zu sozialen Innovationen muss so gestaltet sein, dass eine sachgerechte Erfolgsmessung und Wirkungsanalyse von Politikmaßnahmen zur Förderung von sozialen Innovationen ermöglicht werden“, so der Vorsitzende der Expertenkommission, Professor Uwe Cantner von der Universität Jena.
„Ziel muss es sein, eine flächendeckende, repräsentative und über einen längeren Zeitraum konsistente Datenbasis aufzubauen“, führt Professorin Friederike Welter, Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn und Mitglied der Expertenkommission, fort. „Dabei sind wir uns der Hürden bewusst, die der Aufbau einer einheitlichen und repräsentativen Datenbasis mit sich bringt. Die Definitionsvielfalt sozialer Innovationen erschwert diese Aufgabe zusätzlich.“
Soziales auch von gewinnorientierten Unternehmen
Sozialunternehmen werden häufig als besonders wichtige Quellen sozialer Innovationen wahrgenommen, da dieser Unternehmenstyp finanzielle Nachhaltigkeit mit gesellschaftlichem Engagement verbindet. Die Expertenkommission betont jedoch, dass auch gewinnorientierte Unternehmen soziale Innovationen hervorbringen, einsetzen und verbreiten. „Es sind insbesondere Unternehmen der forschungsintensiven Industrie und bei den wissensintensiven Dienstleistungen, die auch soziale Innovationen initiieren“, so Friederike Welter.
„Soziale Innovationen finden sich dabei oft in unternehmensinternen Prozessen, beispielweise in Form von Homeoffice, flexiblen Lebensarbeitszeitmodellen oder Mentoring-Programmen“, ergänzt Cantner. „Es werden aber auch Produkte und Dienstleistungen angeboten, die den Nutzerinnen und Nutzern sozial innovatives Verhalten ermöglichen, wie etwa Nachhilfeplattformen oder Telepflege.“
Öffnung bestehender Förderformate
Soziale Innovationen sollten aufgrund ihrer Bedeutung in Bezug auf die gesellschaftlichen Herausforderungen ein wichtiger Bestandteil bei der Ausgestaltung bestehender Förderprogramme sein. „Die Förderung sozialer Innovationen bedarf keiner speziellen, nur auf sie zugeschnittenen Programme, sondern sollte in bestehende Innovationsförderprogramme integriert werden. Auf diese Weise kann auch die wechselseitige Verstärkung zwischen sozialen und technischen Innovationen bei den Förderentscheidungen berücksichtigt werden“, konstatiert Cantner.
„Wie bei technologischen Innovationen stellt die Finanzierung der Innovationsaktivitäten auch bei sozialen Innovationen ein wesentliches Innovationshindernis dar“, so Cantner weiter. Neben der Förderung der Entstehung sozialer Innovationen sollte auch die Übertragung und Erprobung lokal erfolgreicher sozialer Innovationen in anderen Kontexten wichtiger Bestandteil der Förderung sein. „Gerade die in der Nationalen Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen vorgesehene Plattform für soziale Innovationen ist wichtig für deren weitere Verbreitung“, betont Welter.
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Transformationsorientierte F&I-Politik
Die Expertenkommission konstatiert, dass die Bundesregierung die Notwendigkeit der Transformation erkannt und auch erste Schritte in die richtige Richtung unternommen hat. „Allerdings ist die transformationsorientierte Politik bislang wenig konsistent. Viele Maßnahmen sind weder zeitlich noch inhaltlich gut aufeinander abgestimmt“, kritisiert Uwe Cantner.
„Dadurch verlieren wir wertvolle Zeit, was sich für die weitere Entwicklung als nachteilig erweisen könnte. Schließlich hatten wir in Deutschland noch zu Beginn der Legislaturperiode deutlich bessere wirtschaftliche Voraussetzungen, um die Transformationspolitik mit Schwung voranzutreiben. Jetzt müssen wir die Transformationen aus einer konjunkturellen Stagnation heraus und im Kontext massiver außenpolitischer Bedrohungen bewältigen.“
Die EFI befürchtet daher, dass die langfristige Transformationsorientierung einer eher kurzfristig ausgerichteten Krisenbewältigungspolitik weichen könnte. Damit würde das Gelingen der Transformationen in weite Ferne rücken.
Langfristige Ziele auch kurzfristig berücksichtigen
Um die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft nicht zu gefährden, empfiehlt die Expertenkommission der Bundesregierung, langfristige und strukturelle Ziele in kurzfristig angelegten Maßnahmen zu berücksichtigen. „So sollten beispielsweise die Mittel aus dem Sondervermögen Bundeswehr auch für Forschung im Bereich Cybersicherheit und künstliche Intelligenz eingesetzt werden“, rät EFI-Vorsitzender Cantner. „Schließlich ist die Schnittmenge zwischen militärischer und ziviler Forschung vergleichsweise groß und der Bezug zur digitalen Transformation unmittelbar gegeben.“
Sozialen Ausgleich beim transformativen Wandel mitdenken
Ferner sollten politische Maßnahmen so ausgestaltet werden, dass sie die sozialen Probleme beim transformativen Wandel von Anfang an mitberücksichtigen und für einen sozialen Ausgleich sorgen. Als Beispiel dafür, wie es nicht laufen sollte, verweist Cantner auf das Gebäudeenergiegesetz: „Die ursprüngliche Nichtberücksichtigung sozialer Aspekte hat gezeigt, wie schnell die gesellschaftliche Transformationsbereitschaft nachdrücklich beschädigt werden kann.“
Suche nach innovativen Lösungen dem Markt überlassen
Wichtig ist es nach Ansicht der Expertenkommission auch, bei der Suche nach innovativen Lösungen für bestehende Probleme nicht zu sehr auf den Staat zu setzen, sondern dies vielmehr der Wirtschaft zu überlassen. „Dieser Ansatz impliziert, dass Lösungen für Transformationsprobleme vornehmlich im marktlichen Kontext erarbeitet und gefunden werden sollten“, so der Jenaer Wirtschaftswissenschaftler Cantner.
„Dabei kann der Staat die Entwicklung von einer alten, nicht mehr erwünschten Technologie hin zu einer neuen Technologie durch Anschubinvestitionen und klug gesetzte Anreize anstoßen. Danach sollte er die weitere Lösungsfindung allerdings dem Markt überlassen. Eine solche Politik setzt auf die Kreativität und die Motivation der Akteure und steht damit im Gegensatz zu einer ‚klassischen‘ Gebots- und Verbotspolitik, bei der politisch vorgeschriebene Lösungen umgesetzt werden müssen.“
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin leistet seit 2008 wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt jährlich ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Wesentliche Aufgabe der EFI ist es dabei, die Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems im internationalen und zeitlichen Vergleich zu analysieren und die Perspektiven des Forschungs- und Innovationsstandorts Deutschland zu bewerten. Auf dieser Basis entwickelt die EFI Vorschläge für die nationale Forschungs- und Innovationspolitik.
Das EFI-Jahresgutachten 2024 ist online verfügbar unter: https://www.e-fi.de/publikationen/gutachtenExterner Link